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Das Konzept des Leader-Member Exchange (LMX) ist auf Graen und Kollegen zurückzuführen (Danserau et al., 1975; Graen & Cashman, 1975). Es basiert auf der Annahme, dass zum einen Führungskräfte ihre Mitarbeitenden ungleich behandeln und dass zum anderen das Verhalten einer Führungskraft bei unterschiedlichen Mitarbeitenden unterschiedliche Reaktionen hervorrufen kann. Nach Graen und Cashman (1975) sind daher im Rahmen der Führungsforschung sowohl das Team als auch das Individuum als Untersuchungsgegenstand ungeeignet. Im Mittelpunkt der LMX-Theorie steht daher die dyadische Beziehung einer Führungskraft zu jedem ihrer Mitarbeitenden (Graen & Cashman, 1975, S. 150). In diesem Artikel wird zunächst der Austauschprozess zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden nach der LMX-Theorie untersucht. Danach wird das Leadership Making Model von Graen und Uhl-Bien (1995) betrachtet. Abschließend wird der aktuelle Stand der Forschung dargestellt.
1. Austauschprozess
Die Beziehung zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitenden ist nach Graen und Cashman (1975) durch einen Austauschprozess gekennzeichnet (Leader-Member Exchange). Dabei verfügen Führungskräfte über Ressourcen, die sie mit ihren Mitarbeitenden teilen. Sie ordnen ihren Mitarbeitenden Aufgaben zu, wobei sie die Art der Aufgaben beeinflussen können. Durch das Bereitstellen oder Zurückhalten von Informationen und Unterstützung wirken sie außerdem auf die Aufgabenschwierigkeit ein. Die Partizipation von Mitarbeitenden bei der Entscheidungsfindung und das soziale Verhalten von Führungskräften können ebenfalls als positionsgebundene Ressourcen angesehen werden. Graen und Cashman (1975) gehen davon aus, dass Mitarbeitende im Austausch für diese Ressourcen ihrer Führungskraft eine erhöhte Bereitschaft zeigen, Zeit und Energie in ihre Aufgaben zu investieren und ein größeres Commitment in Bezug auf die Ziele ihres Teams oder der Organisation aufweisen (Graen & Cashman, 1975, S. 153-154).
2. In-Group und Out-Group
Die ursprünglichen Überlegungen zum LMX basieren auf der Annahme, dass eine Führungskraft aufgrund begrenzter Ressourcen lediglich zu einigen Mitarbeitenden eine qualitativ hochwertige Beziehung aufbauen kann (In-Group). Der Austausch mit den übrigen Mitarbeitenden (Out-Group) ist von niedriger Qualität (Graen & Cashman, 1975, S. 152-153; Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 227). Diese Struktur des LMX ist in Abbildung 1 dargestellt. Die Mitarbeitenden der In-Group erbringen Leistungen, die über die formalen Anforderungen ihrer Stelle hinaus gehen und tragen somit maßgeblich zum Erfolg ihres Teams bei. Sie zeichnen sich durch ihre Fähigkeiten und Kompetenzen, ihre Vertrauenswürdigkeit sowie ihre Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, aus und werden daher von ihrer Führungskraft bevorzugt (Liden & Graen, 1980, S. 451-452). Mitarbeitende der In-Group erhalten im Vergleich zur Out-Group mehr Unterstützung und ihre Beziehung zur Führungskraft ist durch mehr Sensitivität und Vertrauen gekennzeichnet (Graen & Cashman, 1975, S. 155). Im Gegensatz dazu weisen Mitarbeitende der Out-Group meist eine distanzierte und formale Beziehung zu ihrer Führungskraft auf (Liden & Graen, 1980, S. 452).
Abbildung 1. In-Group und Out-Group nach der Leader-Member Exchange Theorie.

Quelle. In Anlehnung an Kraus und Kreitenweis, 2020, S. 38.
In weiterentwickelten Ansätzen zum LMX verliert die Unterscheidung zwischen In-Group und Out-Group an Bedeutung und die Entwicklung effektiver Führungsbeziehungen rückt in den Fokus. So wird postuliert, dass effektive Führung dadurch gekennzeichnet ist, dass Führungskräfte zu möglichst allen Mitarbeitenden qualitativ hochwertige Austauschbeziehung aufbauen. Graen und Uhl-Bien (1995) bezeichnen dies als „Leadership Making“ (S. 229). Aufbauend auf diesem Ansatz entwickelten sie das Leadership Making Model, welches darstellt, wie qualitativ hochwertige Beziehungen in Organisationen entstehen und mit welchen Vorteilen sie einhergehen (Graen & Uhl-Bien, 1991,1995; Uhl-Bien & Graen, 1993).
3. Leadership Making Model
Das Leadership Making Model (Graen & Uhl-Bien, 1995) unterscheidet zwischen drei Phasen der Beziehungsentwicklung (siehe Abbildung 2). Zunächst treffen eine Führungskraft und ihre Mitarbeitenden als Fremde aufeinander. Ihre Beziehung ist dabei durch Formalität geprägt. Auf der einen Seite stellt die Führungskraft ihren Mitarbeitenden ausschließlich diejenigen Ressourcen zur Verfügung, die sie zur Aufgabenerfüllung benötigen. Auf der anderen Seite erbringen die Mitarbeitenden lediglich die zur Aufgabenerfüllung notwendige Leistung. Der LMX ist somit niedrig (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 230-233).
Abbildung 2. Leadership Making Model.

Quelle. In Anlehnung an Graen und Uhl-Bien, 1995, S. 231.
Durch sozialen Austausch kann die Phase der Bekanntschaft erreicht werden. In dieser Phase werden persönliche und arbeitsbezogene Ressourcen über die formalen Stellenanforderungen hinaus geteilt. Der Austausch ist durch ein Gleichgewicht gekennzeichnet und die Zeitspanne zwischen Leistung und Gegenleistung (Zeitspanne der Reziprozität) ist noch vergleichsweise kurz. Es handelt sich hierbei um eine Testphase, wobei sich der LMX auf einem mittleren Niveau befindet. Diese Phase nimmt in der Beziehungsentwicklung eine entscheidende Rolle ein, denn Beziehungen, die sich nicht über die zweite Phase hinaus entwickeln, fallen langfristig zurück in die erste Phase (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 230-233).
Entwickelt sich die Beziehung zwischen einer Führungskraft und einem Mitarbeitenden jedoch weiter, wird die reife Partnerschaft erreicht. In dieser Phase respektieren, vertrauen und unterstützen Führungskräfte und Mitarbeitende sich gegenseitig. Nach Graen und Uhl-Bien (1995) ist dies Kennzeichen effektiver Führung. Im Rahmen einer reifen Partnerschaft weisen beide Parteien die Bereitschaft auf, Leistungen zu erbringen, die über ihre formalen Stellen- oder Rollenanforderungen hinaus gehen. Dabei sind lange Zeitspannen der Reziprozität möglich. Der LMX ist sehr hoch (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 230-233).
4. Stand der Forschung
Eine Vielzahl an Metaanalysen belegt einen Zusammenhang zwischen LMX und unterschiedlichen Erfolgsmaßen. Demnach fördert LMX die Leistung, Zufriedenheit und das Wohlbefinden von Mitarbeitenden. Außerdem besteht ein positiver Zusammenhang zu freiwilligem Arbeitsengagement (Organizational Citizenship Behavior), wahrgenommener Gerechtigkeit und zur Mitarbeitendenbindung. Im Gegensatz dazu besteht ein negativer Zusammenhang zu kontraproduktivem Arbeitsverhalten, Rollenkonflikten und der Kündigungsabsicht von Mitarbeitenden (Gerstner & Day, 1997, S. 835; Liao & Hui, 2021, S. 336-338; Martin et al., 2016, S. 81; Rockstuhl et al., 2012, S. 1100-1101). Weiterführend fanden Liao und Hui (2021), dass LMX Innovation fördert und ein positiver Zusammenhang zum Karriereerfolg von Mitarbeitenden besteht (S. 336-337).
Literaturverzeichnis
Danserau, F., Graen, G., & Haga, W. J. (1975). A vertical dyad linkage approach to leadership within formal organizations. A longitudinal investigation of the role making process. Organizational behavior and human performance, 13 (1), 46-78. https://doi.org/10.1016/0030-5073(75)90005-7
Gerstner, C. R., & Day, D. V. (1997). Meta-analytic review of leader-member exchange theory: Correlates and construct issues. Journal of Applied Psychology, 82 (6), 827-844. https://doi.org/10.1037/0021-9010.82.6.827
Graen, G. B., & Uhl-Bien, M. (1991). The transformation of professionals into self-managing and partially self-designing contributions: Toward a theory of leader-making. Journal of Management Systems, 3 (3), 33-48.
Graen, G. B., & Uhl-Bien, M. (1995). Relationship-based approach to leadership. Development of leader-member exchange (LMX) theory of leadership over 25 years. Applying a multi-level multi-domain perspective. Leadership Quarterly, 6 (2), 219-247. https://doi.org/10.1016/1048-9843(95)90036-5
Graen, G., & Cashman, J. F. (1975). A role-making model of leadership in formal organizations: A developmental approach. In J. G. Hunt, & L. L. Larson (Hrsg.), Leadership Frontiers (S. 143-165). Kent State University Press.
Liao, E. Y., & Hui, C. (2021). A resource-based perspective on leader-member exchange: An updated meta-analysis. Asia Pacific Journal of Management, 38 (1), 317-370. https://doi.org/10.1007/s10490-018-9594-8
Liden, R. C., & Graen, G. (1980). Generalizability of the vertical dyad linkage model of leadership. Academy of Management Journal, 23 (3), 451-465. https://doi.org/10.2307/255511
Martin, R., Guillaume, Y., Thomas, G., Lee, A., & Epitropaki, O. (2016). Leader-member exchange (LMX) and performance: A meta-analytic review. Personnel Psychology, 69, 67-121. https://doi.org/10.1111/peps.12100
Rockstuhl, T., Dulebohn, J. H., Ang, S., & Shore, L. M. (2012). Leader-member exchange (LMX) and culture: A meta-analysis of correlates of LMX across 23 countries. Journal of Applied Psychology, 97 (6), 1097-1130. https://doi.org/10.1037/a0029978
Uhl-Bien, M., & Graen, G. B. (1993). Leadership-making in self-managing professional work teams: An empirical investigation. In K. E. Clark, M. B. Clark, & D. P. Campbell (Hrsg.), The impact of leadership (S. 379-387). Leadership Library of America.
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