Digital Leadership – Ein Überblick


Die Digitalisierung gilt als Megatrend und führt dazu, dass sich Führungskräfte in einem zunehmend volatilen, ungewissen, komplexen und mehrdeutigen (VUCA) Umfeld wiederfinden (Claassen et al. 2021, S. 2; Petry, 2019, S. 45-46). Insbesondere der Ausbruch der Corona Pandemie 2019 und der Versuch, die Ausbreitung des Coronavirus durch „Social Distancing“ einzudämmen, hat die digitale Transformation der Arbeitswelt stark vorangetrieben (Eberl & Drews, 2021, S. 223). So hat der Anteil der Beschäftigten, die im Homeoffice arbeiten, in den vergangenen Jahren stark zugenommen (Hans Böckler Stiftung, 2020, S. 2; ifo Institut, 2022). Das Konzept Digital Leadership (digitale Führung) beschreibt die erweiterten Anforderungen und Erwartungen an Führungskräfte, die aus der digitalen Transformation von Unternehmen resultieren (Dörr et al., 2018, S. 40).

In der Unternehmenspraxis und -beratung wird sich bereits intensiv mit Digital Leadership befasst (z. B. Kollmann, 2020; Neun, 2020). Das Thema stellt jedoch ein noch sehr junges Feld der Führungsforschung dar, weshalb diesbezüglich bisher kaum theoretische und empirisch untersuchte Konzepte vorliegen (Zeike et al., 2019, S. 2). Im Rahmen dieses Artikels werden das VOPA + Modell, virtuelle Führung und das Konzept der Ambidextrie genauer untersucht. Der Artikel schließt mit dem aktuellen Stand der Forschung.


1. VOPA (+) Modell

Das VOPA Modell ist auf Buhse (2014) zurückzuführen. VOPA stellt ein Akronym für (V) Vernetzung, (O) Offenheit, (P) Partizipation und (A) Agilität dar. Buhse (2014) postuliert, dass es sich hierbei um vier Erfolgsmuster für Führung in der digitalen VUCA-Welt handelt (S. 24-25). Weiterführend wurde das Modell von Petry (2014) durch die Facette „Vertrauen“ ergänzt. Das weiterentwickelte Modell wird als VOPA+ Modell bezeichnet (siehe Abbildung 1; Petry, 2014, S. 87).

Quelle. In Anlehnung an Petry, 2014, S. 87.

Vernetzung bedeutet, dass Führungskräfte die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen, Regionen und Funktionen fördern. Dabei werden unternehmensexterne Personen ebenfalls einbezogen. Durch den Einsatz sozialer Medien und physischer Austauschformate werden persönliche Interaktionen ermöglicht (Petry, 2019, S. 54).

Offenheit beschreibt, dass digitale Führungskräfte sowohl offen für Neues als auch für Ideen anderer sein müssen. Außerdem zeichnet digitale Führungskräfte aus, dass sie relevante Informationen mit ihren Mitarbeitenden teilen und Gründe für Entscheidungen offenlegen. Weiter ist eine Feedbackkultur notwendig, in der Führungskräfte offen Feedback geben, jedoch auch selbst aktiv Feedback einholen (Petry, 2019, S. 54).

Partizipation bezieht sich darauf, dass Führungskräfte Verantwortung an ihre Mitarbeitenden übertragen und selbstgesteuertes Arbeiten fördern. Hierbei besteht eine Fehlerkultur, in der Fehler erlaubt sind. Darüber hinaus nutzen digitale Führungskräfte die kollektive Intelligenz ihrer Mitarbeitenden und lassen sie an Entscheidungsprozessen teilhaben (Petry, 2019, S. 54).

Agilität bedeutet nach Petry (2019), dass Führungskräfte Altbewährtes in Frage stellen und in der Lage sind, schwache Signale frühzeitig zu deuten. Agilität umfasst außerdem das Lernen aus Fehlern und die Förderung von Veränderung. Hierfür ist eine Arbeitsweise notwendig, in der verschieden Lösungsansätze ausprobiert werden und mit Prototypen experimentiert wird (Petry, 2019, S. 54).

Die Facette Vertrauen bezieht sich auf das im Rahmen digitaler Führung erforderliche Vertrauen von Führungskräften in die Motivation und Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden. Dabei ist es notwendig, dass digitale Führungskräfte vertrauensvolles Handeln fördern, indem sie es selbst vorleben. Nach Petry (2019) umfasst diese Dimension außerdem, dass Führungskräfte Mitarbeitende belohnen, die sich VOPA+ entsprechend verhalten (Petry, 2019, S. 54).


2. Virtuelle Führung

Nach Eberl und Drews (2021) umfasst digitale Führung die Implementierung virtueller Teams (S. 226). Virtuelle Teams zeichnen sich dadurch aus, dass der interne Austausch vornehmlich über digitale Kommunikationstechnologien stattfindet, wodurch eine ortsungebundene Zusammenarbeit möglich wird. Dies stellt digitale Führungskräfte vor neue Herausforderungen (Liao, 2017, S. 650). Liao (2017) postuliert ein Modell virtueller Führung, das zwei Ebenen umfasst (siehe Abbildung 2). Er unterscheidet zwischen dem Verhalten von Führungskräften, das auf ein Team als Ganzes ausgerichtet ist (virtuelle Teamebene) und Verhalten, welches auf die Mitarbeitenden als Individuen ausgerichtet ist (individuelle Ebene; Liao, 2017, S. 649).

Quelle. In Anlehnung an Liao, 2017, S. 649.

Die Kommunikation und Kooperation in virtuellen Teams werden durch die örtliche Distanz der Mitarbeitenden und die reduzierte mediale Reichhaltigkeit digitaler Kommunikationstechnologien erschwert. Hieraus resultiert ein erhöhtes Konfliktpotenzial im Vergleich zu herkömmlichen Teams. Außerdem stellen die reduzierten Möglichkeiten der Einflussnahme und die Motivation von Mitarbeitenden eine Herausforderung für Führungskräfte dar. Auf der Teamebene zeichnet sich effektive virtuelle Führung nach Liao (2017) daher dadurch aus, dass Führungskräfte (a) ihren Mitarbeitenden Unterstützung und Ressourcen für virtuelle Kollaboration und Kommunikation bereitstellen, (b) den Wissens- und Informationsaustausch unter den Mitarbeitenden fördern sowie (c) Vertrauen und Transparenz schaffen, um (d) Verantwortung zu übergeben und „geteilte Führung“ zu ermöglichen (S. 651-654).

In Anlehnung an die LMX-Theorie postuliert Liao (2017), dass erfolgreiche virtuelle Führung auf der individuellen Ebene bedeutet, dass Führungskräfte zu allen Mitarbeitenden eine qualitativ hochwertige Beziehung aufbauen. Dies wirkt sich positiv auf ihre Affektion, Motivation und Kognition aus und hat eine gesteigerte individuelle Effektivität zur Folge. Diese individuellen Prozesse werden dabei durch das Verhalten einer Führungskraft auf der Teamebene moderiert (Liao, 2017, S. 654-656).


3. Ambidextrie

Erfolgreiche digitale Führung zeichnet sich dadurch aus, dass sowohl ökonomische Effizienz als auch Innovation erreicht werden. Im Rahmen der Führungsforschung wird dies als Ambidextrie (Beidhändigkeit) bezeichnet (Dörr et al., 2018, S. 46; Petry, 2019, S. 55). Das Konzept ist auf Tushman und O’Reilly (1996) zurückzuführen und baut auf den Untersuchungen von March (1991) auf. March (1991) unterscheidet zwischen Exploration und Exploitation. Exploration beschreibt das Erkunden neuer Möglichkeiten und ist durch Risikobereitschaft, Experimentierfreudigkeit und Innovation gekennzeichnet. Exploitation bezieht sich dahingegen auf die Ausnutzung von Bestehendem und das Streben nach Effizienz (March, 1991, S. 71). Nach Tushman und O’Reilly (1996) können Unternehmen langfristig nur erfolgreich sein, wenn sie sowohl auf Exploration als auch Exploitation ausgerichtet sind (S. 11).

Das Konzept der Ambidextrie wurde von Rosing et al. (2011) in ein Modell beidhändiger Führung übertragen (siehe Abbildung 3). Rosing et al. (2011) unterscheiden im Rahmen von Innovationsprozessen zwischen der Entwicklung neuer Ideen (Kreativität) und der Umsetzung dieser (Implementierung). Ist Kreativität gefordert, muss eine Führungskraft Exploration fördern. Dahingegen ist Exploitation notwendig, wenn entwickelte Ideen implementiert werden sollen. Nach Rosing et al. (2011) müssen Teams in unvorhersehbaren Zeitabständen zwischen explorativem und exploitativem Vorgehen alternieren, um Innovationsprozesse effektiv zu gestalten. Beidhändige Führungskräfte zeichnen sich somit dadurch aus, dass sie in der Lage sind, ihre Mitarbeitenden zeitlich flexibel und situationsabhängig zu Exploration oder Exploitation zu verleiten (Rosing et al., 2011, S. 965-967).

Quelle. In Anlehnung an Rosing et al., 2011, S. 966.

Rosing et al. (2011) zufolge fördern Führungskräfte Exploration, indem sie „öffnendes“ Führungsverhalten zeigen. Dabei erhalten Mitarbeitende den Freiraum für selbstständiges Denken und Arbeiten. Sie werden von ihrer Führungskraft ermutigt, Bestehendes zu hinterfragen und mit alternativen Lösungsansätzen zu experimentieren. Im Gegensatz dazu wird Exploitation durch „schließendes“ Führungsverhalten verstärkt. Hierbei formulieren Führungskräfte Richtlinien und überwachen ihre Mitarbeitenden bei der Zielerreichung. Falls notwendig, ergreifen sie korrektive Maßnahmen (Rosing et al., 2011, S. 967).


4. Stand der Forschung

Digital Leadership stellt ein sehr junges Feld der Führungsforschung dar, weshalb hierzu bisher kaum empirische Befunde vorliegen (Zeike et al., 2019, S. 2). Eine Ausnahme bildet hierbei das Konzept der Ambidextrie. So fanden Junni et al. (2013) im Rahmen einer Metaanalyse, dass ein positiver Zusammenhang zwischen beidhändiger Führung und organisationalem Erfolg besteht (S. 303). Darüber hinaus korreliert Ambidextrie positiv mit subjektiven Leistungsmaßen und fördert Innovation (O’Reilly & Tushman, 2013, S. 325). Weiter zeigen die Ergebnisse von Jansen et al. (2009), dass ein positiver Zusammenhang zwischen transformationaler Führung und explorativem Verhalten existiert, wohingegen transaktionale Führung geeignet ist, um Exploitation zu fördern (S. 14).



Literaturverzeichnis

Buhse, W. (2014). Management by Internet. Neue Führungsmodelle für Unternehmen in Zeiten der digitalen Transformation. Plassen.

Claassen, K., dos Anjos, D. R., Kettschau, J., & Broding, H. C. (2021). How to evaluate digital leadership: A cross-sectional study. Journal of Occupational Medicine and Toxicology, 16 (4). https://doi.org/10.1186/s12995-021-00335-x

Dörr, S., Albo, P., & Monastridis, B. (2018). Digital Leadership – Erfolgreich führen in der digitalen Welt. In S. Grote, & R. Goyk (Hrsg.), Führungsinstrumente aus dem Silicone Valley. Konzepte und Kompetenzen (S. 37-62). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54885-1_3

Eberl, J. K., & Drews, P. (2021). Digital Leadership – Mountain or Molehill? A Literature Review. In F. Ahlemann, R. Schütte, & S. Stieglitz (Hrsg.), Innovation Through Information Systems. WI. 2021. Lecture Notes in Information Systems and Organisations (Bd. 48, S. 223-237). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-030-86800-0_17

Hans Böckler Stiftung. (2020). Homeoffice: Besser klar geregelt. Böckler Impuls, 15, 2.

ifo Institut. (2022). Homeoffice-Nutzung sinkt trotz Ende der Pflicht zur Telearbeit kaum. Von https://www.ifo.de/node/69501 abgerufen

Jansen, J. J., Vera, D., & Crossan, M. (2009). Strategic leadership for exploration and exploitation: The moderating role of environmental dynamism. The Leadership Quarterly, 20, 5-18. https://doi.org/10.1016/j.leaqua.2008.11.008

Junni, P., Sarala, R. M., Taras, V., & Tarba, S. Y. (2013). Organizational ambidexterity and performance: A meta-analysis. The Academy of Management Perspectives, 27 (4), 299-312. https://doi.org/10.5465/amp.2012.0015

Kollmann, T. (2020). Digital Leadership. Grundlagen der Unternehmensführung in der digitalen Wirtschaft. Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30635-9

Liao, C. (2017). Leadership in virtual teams: A multilevel perspective. Human Resource Management Review, 27 (4), 648-659. https://doi.org/10.1016/j.hrmr.2016.12.010

March, J. G. (1991). Exploration and exploitation in organizational learning. Organization Science, 2 (1), 71-87. https://www.jstor.org/stable/2634940

Neun, W. (2020). Digitale Transformation und Agilität in der Praxis. Veränderungsbereitschaft in Unternehmen fördern durch Background-Personality-Management. Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19624-0

O’Reilly, C. A., & Tushman, M. L. (2013). Organizational ambidexterity: Past, present, and future. The Academy of Management Perspectives, 27 (4), 324-338. http://www.jstor.org/stable/43822033

Petry, T. (2014). Führungskräften mangelt es oft noch an Digitalkompetenz. Ergebnisse der Studie Führung 2.0 – Status Quo 2014. Human Resources Manager, 6, 86-87.

Petry, T. (2019). Digital Leadership – Unternehmens- und Personalführung im digitalen Zeitalter. In T. Petry (Hrsg.), Digital Leadership. Erfolgreiches Führen in Zeiten der Digital Economy (2. Ausg., S. 23-128). Haufe.

Rosing, K., Frese, M., & Bausch, A. (2011). Explaining the heterogeneity of the leadership-innovation relationship: Ambidextrous leadership. The Leadership Quarterly, 22 (5), 956-974. https://doi.org/10.1016/j.leaqua.2011.07.014

Tushman, M. L., & O’Reilly, C. A. (1996). Ambidextrous organizations: Managing evolutionary and revolutionary change. California Management Review, 38 (4), 8-30. https://doi.org/10.2307/41165852

Zeike, S., Bradbury, K., Lindert, L., & Pfaff, H. (2019). Digital leadership skills and associations with psychological well-being. International Journal of Environmental Research and Public Health, 16 (14). https://doi.org/10.3390%2Fijerph16142628

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